Ich konnt'es fühlen, als ich dein Herz verlor -
mir wurde leichter.
Mittwoch, 25. Januar 2012
Donnerstag, 19. Januar 2012
Ich lese ein Füllwort. Ein widerliches Füllwort. Ein einschmeichelndes Füllwort. Ein Füllwort, das Zustimmung heischt. Es heißt: "Wohl". Sprache ist Meinung. Was ist Meinung?
Bis sich die Gedanken zu Gedanken ausbilden, dauert es. Lange dauert es. Bis die Gedanken Worte finden dauert es. Noch länger bis sie sagbar werden.
Ohne Titel 42
Über das Leben, das Universum und den ganzen Rest (nach Douglas Adams)
... oder worüber schreibt man sonst? Über die Selbsterkenntnis und die Unmöglichkeit zur Rückkehr. Über die Sehnsucht nach Rohheit und primitivem Sein oder Nichtsein. Ja oder Nein. Das, vermutlich (und in vermutlich, wie in wahrscheinlich, sicherlich aber auch fälschlich steckt schon rein orthografisch mein ich), ist die letzte Frage. Und die Antwort muss nun jeder selbst geben. Dann kommt am Schluss (der wann eintritt und nach dem was kommt?), alles zusammengenommen, mit allen Wahrscheinlichkeiten multipliziert und durch die Unendlichkeit gebrochen, zweiundvierzig heraus. Oder auch dreiundzwanzig.
Das alles hier ist vermutl-ich eine gigantische Volkszählung der Optionen. Also überlegen Sie schon mal: Sagen Sie Ja? Oder sagen Sie Nein?
Für jemanden, die sofort immer eine Meinung hat, lang bevor sie weiß, worum es geht, ist Essayschreiben eine Herausforderung. Weil es Fragestellen bedeutet und versuchen, muss ich mich dabei sozusagen selbst überraschen.
(Ein häufig vollzogener Schlagabtausch zwischen meinem Freund und mir geht so: Er zu mir: Du hast doch keine Ahnung!
Ich zu ihm: Du hast doch keinen Plan!
Und genau so verhält es sich auch. Ich brauche keine Ahnung, denn ich habe einen Plan. Eine Vorstellung davon, wie sich die Dinge zu verhalten haben.)
Ich stelle die letzte aller Fragen, bevor ich irgendetwas Anderes wissen will. Eigentlich will ich garnichts Anderes wissen. Es genügte mir, den Plan zu kennen, mit den Details dürfen sich Andere befassen. Ich ergötze mich an Dokumentationen über die neuesten Forschungsergebnisse. Ob es darin um Astrophysik oder um Chemie geht, Parapsychologie, Quantenmechanik oder Kernfusion, ist nicht so wichtig. Hauptsache, die finden was Spannendes raus.
Ein Plan. Vielleicht, eine Anleitung. Die Spielregeln oder so ähnlich. Eine knappe Inhaltsangabe.
Was hält die Elektronen auf ihrer Bahn um den Atomkern?
Wie funktioniert Gravitation?
Was soll Dunkle Materie sein?
Was wartet jenseits der Lichtgeschwindigkeit?
Weshalb ist nichts kälter als der absolute Nullpunkt?
Schade, dass darauf in der Bibel keine Antworten stehen. Oder im Koran, ja nichtmal in den Veden, sofern ich unterrichtet bin. Sonst könnte ich schon ein Religiöser Fundamentalist werden. Wie sich die Vorstellungen ändern. Auch die vom Wissen. Die Begriffe und Methoden. Von den Schamanen zu den Philosophen, von Klerikern zu Physikern wandeln sich die (Herangehens-)Weisen und schon wieder tue ich so, als stünde ich außerhalb der Zeitlinie und könne mir ein vollständiges Bild von der Sache machen, wie Christof Subik mich aber lehrte, verstellen die Weltbilder die Sicht auf die Welt. Also beschränke ich mich auf die Menschheitsgeschichte. Mein Kopf will es sich wohl einfach machen, diese Dingens, diese Sachen in eine Kiste verpacken, Stempel drauf und endlich nach Rezept zu leben anfangen.
Meine Sichtweise der heutigen Weltanschauung (hier im Westen versteht sich, oder vielleicht auch nur im 6. Wiener Gemeindebezirk) erlaubt folgenden Schluss:
Was existiert, hat schon immer existiert, zumindest in den letzten 13einhalb Milliarden Jahren seit dem Urknall, da alles, was heute ist, in ihm entstand und fortan nach gleichbleibenden Gesetzen expandiert und reagiert und sich abgekühlt hat, bis sich schließlich eine bestimmte Ansammlung von Teilchen zu meiner Existenz zusammenschloss. Alles, was ich also als Teil von mir empfinde, war von Anfang an dabei. Alles, was bisher passiert ist, hat dazu geführt, dass ich heute bin. Irgendwo da drinnen muss doch eine Antwort liegen, ein Schlachtplan, oder zumindest die richtige Frage.
Soll ich den Satz mit "Und" oder mit "Aber" beginnen, wenn ich hinzufüge, dass schon in sieben Jahren jedes dieser Teilchen weg und durch ein Anderes ersetzt sein wird, dass sich dann als ich fühlen wird?
Welchen Unterschied gibt es zwischen einem Menschen drei Minuten vor- und drei Minuten nach seinem Tod?
Und wann genau war der Todeszeitpunkt des Christbaums, der bis vorgestern in meinem Wohnzimmer stand?
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit etwas als Leben gilt?
Und welche gelten für Intelligenz? Vor wem? Und wie lange?
Darauf, vielle-ich-t, wissen religiöse Schriften eine Antwort. Sie liefern sogar eine einfache Anleitung dazu, um das Bestmögliche herauszuholen.
Ihre mangelnde Glaubwürdigkeit auf vielen anderen Gebieten aber, diskreditiert sie für mich. Für viele Andere nicht. Es hilft, wenn man nicht mehr denken muss. Dann kann man vielleicht endlich einfach handeln.
Und alles. Juchee, eine Pauschalantwort.
Aber was haben Elektronen in der Außenhülle von Atomen mit chemischen Eigenschaften zu schaffen? Weshalb pflanzen sie sich in Achterschritten fort? Und was zur Hölle ist eigentlich Musik? Woher kommen die Intervalle? Was hat das alles mit der Entstehung des Lebens zu tun?
Alles ist viel zu kompliziert. Jemand wie ich würde sich da wünschen, man lebte im Mittelalter und die Bibel hätte alle Antworten. Oder irgendsoein anderes Buch. Zu dumm, dass es keinen Weg zurück gibt, wenn die Fragen erst formuliert sind. Kein Garten Eden, keine Wildnis, kein es-ist-wie-es-ist.
Wir sind der Selbsterkenntnis anheim gefallen. Sie hat uns gepackt wie die Pubertät, wir haben tief in den Brunnen geschaut und gesehen: Leben ist Sterben. Eines ist, weil es sich aus dem Anderen gründet und der Kampf namens Evolution ist brutal. Wer aber einmal hinter den Vorhang von Gut und Böse geschaut hat muss sich vor dem Eingreifen hüten, dummerweise gibt es diese Option nicht, solange der Körper bedient werden muss, um den Geist zu befriedigen. Werden wir uns also als notwendige Konsequenz eines Tages ins Internet hochladen?
Die Hoffnung auf Antwort, auf das andere Ende des Tunnels. Hinter der Erkenntnis liegt das Paradies.
Es ist schwierig, am Boden zu bleiben, wenn alles so aufgetakelt tut. Deshalb lieber zurück zu einfachen, wenn auch veralteten Regelmodellen, suchen wir unser Heil dort, wo schon Andere vor uns suchten, verschieben wir als Gegenleistung für die simple Anleitung unsere Seligkeit auf einen Zeitpunkt nach unserem Tod, hoch lebe die Religion, oder was von ihr übrig ist.
Dabei war es noch nie so einfach wie heute. Wirklich, fragen Sie einen der Transistoren in Ihrem Computer - er wird Ihnen Antworten: Ja! oder Nein! Keine Graustufen des Wenn und Aber, keine Spezialfälle, keine Ausnahmen. Ja oder Nein. Mehr muss er nicht wissen. Und natürlich hängt seine Meinung auch davon ab, was sein Nachbar denkt, aber man tut wenigstens nicht erst so, als würde man Kompromisse schließen. Na, wäre das fein, so ein Transistorenleben? Das Ergebnis der Erhebung, wenn erst alle Transistoren ihren Senf dazugegeben haben, ist Statistik. Und die im Auge des Betrachters. Das wollen führende Psychokinetik-Forscher schon anhand des Verteilungsverhaltens von Kichererbsen nachgewiesen haben. Warum auch nicht, der unbeteiligte Beobachter ist doch schon längst im Doppelspalt verloren gegangen.
Wann wurde die Objektivität erfunden? Und von wem?
Hinzu kommen noch die Begriffe. Ich schreibe das. Sie lesen das. Oder etwas völlig Anderes. Stellen Sie sich vor, ich würde in Esperanto schreiben. Welche Bilder hätten Sie dann im Kopf? Wie würde wohl das Wort für "Verteilungsverhalten" klingen?
Our purpose is to examine subtle correlations that reflect the presence and activity of consciousness in the world. (...)Large scale group consciousness has effects in the physical world. Knowing this, we can intentionally work toward a brighter, more conscious future.
Global Conciousness Project; http://noosphere.princeton.edu;10.1.2012
Ich stelle mir vor, wie ich diesen Text von einem Übersetzungsprogramm bearbeiten lasse. Da ist zum Beispiel so ein Gefühl in meinem Kopf, ich würde vielleicht eine Geste machen, um es zu beschreiben, aber dann muss ich nach einem Wort suchen, das halbwegs drum herum passt, zumindest um die Geste. Damit ich es transportieren kann, aber nicht etwa das Gefühl, nur das Wort, über irgend so einen visuellen oder akustischen Kanal, das Wort, das Wort sein könnte oder Gefühl und es macht dann vielleicht ein Gefühl in Ihrem Kopf, vielleicht ein Ähnliches, aber jedenfalls ein Neues, denn ich habe meines ja noch.
das Wort, das Wort sein könnte oder Gefühl...
http://babelfish.yahoo.com/translate_txt - Deutsch auf Englisch
the word, the word to be would know or feeling
http://babelfish.yahoo.com/translate_txt - English auf Chinesisch -trad
詞,是的詞將知道或感覺
http://translate.google.de/#zh-CN|ru|詞,是的詞將知道或感覺 - Chinesisch auf Russisch
Слово слово знать или чувствовать
http://translate.google.de/#ru|hi|Слово%20слово%20знать%20или%20чувствовать - Russisch auf Hindi
शब्द के शब्द पता है या लगता है
http://translate.google.de/#hi|fa|शब्द%20के%20शब्द%20पता%20है%20या%20लगता%20है - Hindi auf Persisch
کلمه کلمه می دانم و یا فکر می کنم
http://translate.google.de/#fa|el|کلمه%20کلمه%20می%20دانم%20و%20یا%20فکر%20می%20کنم - Persisch auf Griechisch
Νομίζω ότι η λέξη ή λέξεις
http://translate.google.de/#el|yi|Νομίζω%20ότι%20η%20λέξη%20ή%20λέξει - Griechisch auf Jiddisch
איך טראַכטן די וואָרט אָדער ווערטע
http://translate.google.de/#yi|fi|איך%20טראַכטן%20די%20וואָרט%20אָדער%20ווערטער - Jiddisch auf Finnisch
Mielestäni sana tai sanoja
http://translate.google.de/#fi|sw|Mielestäni%20sana%20tai%20sanoja - Finnisch auf Suaheli
Nadhani neno au maneno
http://translate.google.de/#sw|it|Nadhani%20neno%20au%20maneno - Suaheli auf Italienisch
Credo che la parola o le parole
http://translate.google.de/#it|de|Credo%20che%20la%20parola%20o%20le%20parole - Italienisch auf Deutsch
Ich denke, das Wort oder die Wörter
Das ist natürlich nicht repräsentativ, kulturell gefärbt und von meiner künstlichen Formulierung ausgehend. Aber vielleicht haben Sie schon einmal von Fraktalen gehört: Man füttert eine Gleichung immer wieder mit ihrem Ergebnis. Der Gedanke, den ich dahinter vermute, oder der sich mir daraus ergibt: Am Anfang war alles einfach, als es sich verbreitete, wurde es kompliziert und am Ende ist alles dasselbe. Es gefällt mir schon, zu denken: Fangen Sie beim Kleinen an. Arbeiten Sie sich aus dem Kleinsten ins Größte. Viele Einheiten ergeben ein Ganzes. Es beginnt mit einem Ja. Endet es mit einem Nein? Ist das Experiment nun gelungen, oder gescheitert, wenn sich der Satz am Schluss nur geringfügig von seinem Ausgang unterscheidet? Die Übersetzungsmaschine hat ein "ich" hinzugefügt.
Woher kommen eigentlich die Gegensätze?
Und die Naturgesetze?
Warum gibt es Masse?
Was bedeutet Zeit?
DIe Chaostheoretiker wollen zum Beispiel schon längst alles abschaffen. Wenn es nach denen geht, gibt es garnichts, zumindest nichts, was man in unseren Alltagssprachen beschreiben könnte. Wenn ich laienhaft zusammenfasse, was ich mir aus TV-Kommentaren von Quantenphysikern zusammengereimt habe, klingt das in etwa so: Im Mikrokosmos, auf subatomarer Ebene, lassen sich die Naturgesetze nicht mehr anwenden. Man kann nicht länger nach dem "was" und "wo" fragen, nur noch nach dem "wie" und "wann". Wie das "wie" die Eigenschaften, so verbindet das "wann" die Orte. Es geht um die Verbindungen, nicht um ihre Pole.
Manchmal finde ich es seltsam, wie viele Begriffe sich diese Naturwissenschaftler aus spirituellen Strömungen borgen. Da ist von der Verbundenheit aller Dinge die Rede, und von einer zugrunde liegenden Wirklichkeit, auf die unsere Vorstellungswelt nicht anwendbar ist. Einzig die Mathematik soll sich eignen, diese Dimension zu benennen. Weil sie die Verhältnisse zueinander ausdrückt. Und diese liefern ein Ergebnis. Nicht umgekehrt, wie vielleicht Sprache suggeriert: Das Gegebenheiten zu Verhältnissen führten.
In der Traditionell Chinesischen Medizin geht es, so wie ich es verstehe, auch hauptsächlich um die Zusammenhänge. Nicht was ist, sondern wie es zusammenwirkt und wie es fließt, das zählt. Womöglich wirkt sie unter genau dem Paradigma, nach dessen Übernahme die Chaostheoretiker seit bald einem Jahrhundert verlangen.
Und wenn das also im Kleinsten gilt, was bedeutet es für mich und Andere, die etwas größer sind? Sind wir, ist mein "ich" letztlich auch nur Produkt diverser Faktoren? Kann ein und dieselbe Gleichung vielleicht auch zu verschiedenen Ergebnissen führen? Eigentlich nicht. Bin ich also eine gesellschaftliche Notwendigkeit und dazu da, die Verhältnisse weiter zu bestimmen? Und genau das tun Menschen doch, oder? Wenn sie einen Anknüpfungspunkt finden, der sich schon irgendwie gesichert anfühlt, hängen sie ihre eigenen Gedanken daran. Von hinten sieht das Gebilde, das nach gleichbleibenden Spielregeln aufgebaut wurde, dann oft aus wie ein Plan. Aber war es einer? Welchem Ziel dienen diese Regeln?
Talking Tree
@talkingtree_de Erlangen
Hallo! Ich bin ein Baum, und das ist mein Feed. Ich bin immer online, um Euch darüber zu informieren, wie es mir geht. Powered by Siemens.
http://twitter.com/talkingtree_de
Da gibt es Stimmen, vielleicht kritische, die sagen: "Die Hyperrealität wird schon realer als die Realität" (...empfunden). Hier ist alles einfacher zu verstehen, da es sich innerhalb ganz bestimmter Parameter abspielt. Es ist ganz klar, worauf alles aufbaut. Ob man es nun gänzlich versteht oder nicht, es ist nachvollziehbar. Alles ist möglich, denn nichts ist daran Hexerei.
Wenn wir alle aus Quanten, ja alle aus Atomen, sogar Molekülen und hier hochkomplexen, sogenannten Aminosäuren, entstanden sind und uns, in der Entstehungszeit des Lebens, erst nach und nach von den Pflanzen unterschieden - und letztlich vielleicht alle diese Eindrücke in uns, in unserer DNA gespeichert sind, dann ist die Frage nach dem Sinn des Lebens möglicherweise die gleiche, wie die Frage nach dem Sinn des Internets. Speichereinheiten verschleißen, aber das Ganze bleibt erhalten.
Folgendes Gespräch ereignete sich so oder so ähnlich übrigens kürzlich, also vorgestern, oder so:
"Was ist schon der Unterschied zwischen mir und diesem Baum? Wir sind doch eigentlich nur solche Klumpen, die gelernt haben, Ihr Wasser mit sich rumzutragen, damit man sich das alles mal besser ansehen kann."
(...)
"Wenn alles mit allem zusammenhängt und wechselwirkt, dann kann man sich doch Sterben auch vorstellen, wie einen Knoten, der sich löst."
"Als Knoten in der Energiematrix?"
"Ja. Und dann verteilt sich die Information wieder."
"Aber die Struktur geht verloren."
(...)
"Wie so eine Batterie hier, und ein Glühlämpchen hier dreißig Zentimeter weiter rechts. Und dazwischen fünf Kilometer Kupferdraht, um eine Spule gewickelt."
"Und am Ende wird sie wieder aufgerollt und eingeschmolzen."
Montag, 9. Januar 2012
Illusions of Paradise
oder
die Kollektive Zwangsneurose
Ich
habe Themen im Kopf, viele. Konstruierte, erlebte, unbewusste, und noch andere.
Aber das ist das Thema, oder viel mehr der Punkt. Ich sehe lieber der Pflanze
beim Aufrichten ihrer Blätter zur hellsten Stelle am fahlen Winterhimmel zu. Gegossen
habe ich sie. Schreiben wollte ich. Die Aloe hinter unserem Steinkreis.
Wenn
der Mond oben ist, ist das Meer oben. So einfach ist das.
Wenn
du dein Geschirr abends in Salzwasser einweichst, wird es am nächsten Tag
leichter sauber. Wenn du es mit Süßwasser wäschst, geht es ganz einfach. Aber
dafür musst du bald neues holen. Liter für Liter auf deinen Schultern, aus dem
sechs Kilometer entfernten Dorf.
"Weihnachten,
die kollektive Zwangsneurose", sagt Marcus und wir schenken ihm trotzdem
eine Flasche Disaronno.
Die
ersten vier Nächte am Strand gab es kein Feuer. Tim ist enttäuscht.
Ich
friere. Ich stehe auf, suche nach etwas, das Abhilfe schaffen kann, suche nach
dem nächsten Satz. Ich denke an die Feuer, den Wind und die Brandung, die
Steine. Jetzt möchte ich auch in die Flammen sehen, einen Moment lang gelingt
es mir.
Wenn
du das ganze Feuerholz verbrauchst, hast du morgen keines mehr. Dann musst du
neues finden, weit hinten im Barranco. Dann realisierst du: Was du an einem
Abend verbrennst, hat vielleicht zwanzig Jahre gebraucht um zu wachsen.
Welcome
to a human desert, breathing illusions of paradise.
Stand
auf einem Felsen an dem alten Weg, der näher dem Abhang über den felsigen Hügel
führte. Den neuen haben sie nicht fertig gebaut, trotzdem ist er viel sicherer.
Trotz der Absperrung lockt er viele Touristen in das Tal. Fünf oder sechs, fast
jeden Tag.
Der
Spruch wurde schon früher übermalt. Von seinem eigenen Urheber. "Irgendein
Hippie hat sich drüber aufgeregt", erzählt Marcus.
Was
die Arbeiter übermalt und beiseite geschafft haben, war ein Herz, das die Worte
Santa Tierra Madre umgab. Wenn man weiß, welcher Felsen es war, auf dem
sie standen, erkennt man ihn heute noch abseits, ganz nahe dem Abgrund stehen.
Ich
wollte heute einen Tag lang fasten, nach Weihnachten und Silvester, nach dem
Kulturschock. Aber ich denke die ganze Zeit an meinen leeren Magen. So viele
Tätigkeiten erwarten von mir in Angriff genommen zu werden und fast alle
erfordern es, dass ich an meinem Schreibtisch sitze. All das. Was zum Überleben
essenziell wäre zählt nicht, oder wird von Anderen für mich gemacht. Wasser aus
der Leitung, Strom aus der Dose. Geschirr-Spüler, Wasch-Maschine, Müll-Abfuhr.
Es ist alles so abstrakt, dass es unmöglich wird, den Überblick zu behalten.
"Wenn
wir heimkommen, setzen wir uns erst mal in ein Eck und schauen uns alles
an." Sagt Wolfgang noch am Abflughafen. Einige Stunden später holen wir
die kleine Macchina aus dem Rucksack und trinken Kaffee aus den Emailtassen.
Noch etwas später liegen wir am Sofa, der Beamer läuft und wir ziehen uns rein,
was es auf arte.tv so zu sehen gibt. Schockiert sind wir trotzdem.
Wir
werden von meiner Mutter mit dem Auto vom Flughafen abgeholt. Es ist der 23.
Dezember. Unterwegs macht sie nervöse Andeutungen, dass mit unserer Wohnung
etwas passiert sei. Sie hatte den Schlüssel, zum Blumengießen.
Ich
habe seit zehn Tagen nicht geduscht und selten so gut gerochen. Wenn man sich
jeden Tag im Meer wäscht, wird man von innen heraus sauber. Meine Haut heilt.
Bis wir Abreisen, sind wir beide schon fast ganz gesund. Meine Muskeln stählen
sich am Rucksackschleppen, Mauerbauen, Holz holen. Am steinigen Boden ist jeder
Schritt ein Ereignis. Wenn du dich vom Gehen ablenken lässt, holst du dir blaue
und blutige Zehen. Das lernst du schnell. Wenn du wissen willst, was rund um
dich passiert, bleib stehen und sieh dich um.
"Ich
bin gerade fünf mal dem Meer nachgelaufen, und wieder weg, als die Welle kam.
Bevor ich auf die Idee gekommen bin, die Schuhe auszuziehen", sagt
Mattheus, der gerade erst angekommen ist, etwas früher am Tag. An unserem
letzten Abend, nach dem Essen ist er den Topf spülen gegangen, runter ans Meer.
Da musst du aufpassen, dass nicht eine größere Welle die Sachen mitnimmt, wenn
du sie abstellst. Dazu musst du dir das Meer erst eine Weile ansehen.
Meine
Mutter dreht das Licht in unserer Wohnung an. Es ist neu. Da hängt eine Lampe
in unserem Vorzimmer. Im Küchenfenster hängt Weihnachtsschmuck, im Küchengang
eine weitere unbekannte Lampe. Am WC auch, in die Küchenzeile ist eine Reihe
Halogen-Spots eingelassen, die auf einen Bewegungssensor reagieren. Mir läuft
es kalt über den Rücken.
Unser
vierter Adventsonntag war sehr beschaulich. Tim und Marcus haben uns in unserem
Steinkreis besucht, wir haben Kichererbsen mit Olivenöl, Zitrone und Knoblauch
gekocht. Tim hat Zucchini mit Rosmarin gebraten, Fladenbrot muss man mit der
Gabel einstechen, hat Marcus erklärt und es buk so wirklich schneller. Wir
haben vier Teelichter angezündet und Marcus selbstangebautes Gras geraucht.
Über uns der Sternenhimmel, Orion und Sirius, die das Zeitempfinden lenken. In
der Ferne die Brandung der steigenden Flut, des steigenden Mondes.
Die
vertrauten Bohrlöcher in der Küchenwand sind verputzt, im Arbeitszimmer: Noch
eine Lampe, noch mehr Weihnachtsbeleuchtung. Nebst einer gigantischen Palme am
Fensterbrett. Fast alle Zimmerpflanzen haben neue Übertöpfe bekommen. Der Boden
ist von Neuem gesaugt und gewischt worden, die alten Teppiche sind versteckt.
In der Küche stehen Süßigkeiten, Mineralwasser, Küchenrolle, auch Kühlschrank
und Gefrierfach sind angefüllt.
Getrocknete
Datteln und Feigen zum Kaffee sind das Nonplusultra in der Siestazeit, wo du
nichts tun kannst, als an einem schattigen Ort zu sitzen und der Welt beim
existieren zuzusehen. Vielleicht kannst du lesen oder plaudern, in der
Maincave, wo man sich trifft und die große Macchina anwirft, wenn einer Wasser
und Kaffeepulver, jemand anderer vielleicht noch ein paar Kekse spendiert. Was
du vorher nicht gemacht hast, musst du später nachholen, bevor es dunkel wird.
Sonst machst du es morgen. Auch egal. Es gibt eine Zeitqualität für jede
Tätigkeit, wenn du es da machst, geht es am besten. Wenn die Sonne aufgeht,
wachst du auf. Wenn du nicht aufstehst, wecken dich die Fliegen. Bevor es heiß
wird, verstaust du Lebensmittel und alles Heikle. Wenn du am Abend etwas
Sauberes anziehen möchtest, wäschst du lieber gleich deine Wäsche, damit sie
über Mittag trocknen kann. Über die Steinmauer gehängt ergibt das einen
tauglichen Kühlschrank. Wenn deine Vorräte zur Neige gehen, gehst du besser
gleich los, Richtung Dorf, sonst verbringst du den ganzen Tag dort. Zur Siesta
haben nämlich auch die Geschäfte geschlossen, bis auf den neuen
Spar-Supermarkt.
In
unserem Wohnzimmer steht ein raumhoher Christbaum, von mehr als vierzig Metern
Lichterkette umschlungen. Nebst Leuchtkugeln mit Fernbedienung, neuem Vorhang
vor der Terrassentür, einem festlichen Tischläufer und noch mehr
Weihnachtsdekor. Nicht zu vergessen, eine weitere Lampe, die im Eck steht. Wir
sagen artig: "Danke" und "gefällt uns". Meine Mutter bleibt
nicht lange.
Wir
setzen uns in ein Eck und schauen uns alles erst mal an.
Weil
Tim sonst traurig wäre und weil er schon bald darauf abreisen muss, geben wir
eben das erste Gastmahl der Saison. Offenbar ist das diesmal unsere Aufgabe.
Aber es gibt immer die Feuer am Strand im Winter. "Die Community muss sich
erst bilden. Die Leute treffen ja erst nach und nach ein" sagt Marcus mit
Kennermiene.
Marcus,
der Salzburger, unser Freund, den wir immer auf der Insel treffen. Zwei Jahre
war er zwischendurch nicht da, erzählt er. Insgesamt hat er hier schon bald ein
Jahrzehnt zugebracht. Er ist schon ein Teil des Tales. Trotzdem hat er sich an
uns erinnert. Am Abend des vierten Advent kramt er ein himmelblaues Feuerzeug
hervor, auf dem die Buchstaben M I O eingeritzt sind. Der kleine Mio,
Franziskas Sohn, der wir hier vor vier Jahren begegnet sind. Eine schöne Zeit
hatten wir damals zusammen, und Wolfgang hat das Feuerzeug graviert um Mio
seinen Namen zu lehren.
Beim
ersten Feuer lernen wir Cynthia und Stefan, Gerry und Raphael kennen. Gerry
weiß gleich, wer wir sind. "Ah, you are staying in the Stonecircle, that
looks like a neat little House without a roof?" Ich mag ihn auf Anhieb,
wie jeden hier.
Raphael,
der Windgeist, macht oft Aussagen wie: "Wann hast du das letzte Mal
Plastik verbrannt?" oder "Einmal habe ich mich drei Tage lang als
Bettler verkleidet. Und auch so gelebt. Das war zu Fasching." Vor seiner
Abreise sagte er, er nähme das schöne Wetter jetzt mit.
Weshalb
es vermutlich auch regnete, am darauffolgenden Tag. Das heißt, es tröpfelte für
ein paar Minuten, an dem besagten vierten Advent. Entgegen einer Viermilliarden
zu eins-Wette von Marcus gegen Cynthia. Marcus sagte dann, er habe vier
Milliarden Steine gemeint.
Am
Tag nach unserer Heimkunft ist plötzlich Weihnachten. Nicht viel zu tun, aber
eine leichte Unsicherheit bei jeder Handlung, ob sie uns in dieser
neueingerichteten Wohnung überhaupt gestattet sei. Gegen fünf sollte mein Vater
kommen, mit dem wir den heiligen Abend verbringen wollen. Er hat keinen Baum
besorgt und ist froh, dass bei uns schon einer rumsteht. Gegen sieben schleppen
wir vier Säcke mit mehr oder weniger direkten Zutaten zu einem Weihnachtsmahl,
darunter drei verschiedene Sorten Knödelteig, 1 Kilo Erdäpfel, Weihnachtskekse,
Himbeeren, Trauben und frische Feigen sowie einen ganzen Einkaufssack voller
Brot, nebst einem Sack mit Moos, einem Sack mit Steinen, einem Rindenstock und
Krippenfiguren, deren Aufstellung in unserem Wohnzimmer er sich ausbedungen
hat, in den dritten Stock, per Aufzug selbstverständlich.
Die
Ente, welche den Hauptbestandteil unseres Weihnachtsessens ausmachen soll,
entpuppt sich wenig später als noch gefroren.
Damit
aus einem Eintopf überm Feuer ein Gastmahl wird, muss jeder etwas beitragen.
Das Holz. Das Geschirr. Eine Dose Bohnen. Eine Avocado. Ein paar Tomaten. Etwas
Knoblauch. Und soweiter. Aber vor allem sich selbst. Dasitzen, sich wärmen.
Teilen, erzählen, zuhören.
Hari,
den Yogi, hatten wir schon beim Einkaufen im Dorf kennengelernt. Er erzählt dir
soviel du vertragen kannst vom Gleichgewicht zwischen Mann und Frau, den
transformativen Kräften des Feuers und Gurus mit hundert goldenen Rolls Royce
in der Garage. An dem Abend schwafelt er Tim ziemlich voll. Und teilt sein
Gras.
Tim
lebt normalerweise in einem Wohnwagen. Er hat Landschaftsarchitektur studiert
und ist Vegetarier. Im Lorbeerwald im Norden der Insel hat er Esskastanien
gesammelt um sie hier mit uns allen zu teilen.
Cynthia
und Stefan wohnen jetzt auch hier. Irgendwoher haben sie Magic Mushrooms
bekommen.
Ich
denke schon wieder ans Essen. Du wirst von einem Fastentag nicht verhungern,
sage ich mir. Zwischendurch stehe ich auf, gehe am vollen Kühlschrank vorbei,
bleibe vorm Spiegel hängen und verunstalte mich. Am Strand gibt es keine
Spiegel. Da bist du so schön wie du dich fühlst. Alle sind unheimlich schön,
sobald sie nackt und mit Meerwasser gewaschen sind. Die Haut, die Haare, die
Augen.
Wir
schalten Ö1 ein, weil wir die Weihnachtsplatten meines Vaters erdrückend
finden. Mein Vater kocht, baut Krippe, wir rauchen das letzte Gras aus dem
Urlaub und unterhalten uns gut. Drei Stunden später gibt es Essen. Ente mit
Traube und Dattel, Rotkraut und 3 verschiedene Knödelsorten.
Nach
dem Essen erklärt mein Vater, er müsse jetzt noch die Geschenke einpacken. Es
ist nach Mitternacht, der Baum unberührt, und irgendetwas, vielleicht die Musik
im Radio, vermittelt den Eindruck, das Weihnachten vorüber ist. Mein Vater
schließt sich in unserem Badezimmer ein. Wir machen es uns auf dem Sofa
gemütlich.
Als
wir wieder aufwachen ist es zwei Uhr morgens, die Wohnung ist nach wie vor hell
erleuchtet, das Radio spielt und unter dem Christbaum stehen zwei Stapel an Geschenken,
je mit Namen versehen. Mein Vater ist verschwunden. Als ich ihn anrufe, um nach
seinen Beweggründen zu forschen, sagt er mir am Telefon, wir müssten das
nachholen. Wir hätten so nett geschlafen, da wollte er uns nicht wecken. Wir
sollten die Geschenke so lange einfach stehen lassen.
Am
Strand sind die Telefone aus. Sie sind aus, weil sie keinen Strom haben. Wenn
sie Strom haben, sind sie aus um ihn für Notfälle zu sparen. Und niemand hat
eine Uhr.
Ein
Detail fehlt bei unserem ersten Gastmahl. Keiner hat ein Instrument dabei. Wenn
du in Äquatornähe, auf einer Insel mit nicht allzuvielen Einwohnern, in den
Sternenhimmel schaust, verstehst du, wie einfach die Zusammenhänge sind. Und du
siehst unglaublich viele Sternschnuppen. Von einer habe ich mir Musik
gewünscht. Hari war unheimlich beeindruckt, als sich der Wunsch schon am
darauffolgenden Tag, in seinen Worten: materialisierte. Tim meinte, die
Sternschnuppen hier funktionierten gut.
Zum
nächsten Gastmahl kamen ein Gitarrist und noch ein Sänger, samt Gitarre,
Knoblauch und Bier. Wenige Tage später traf auch ein Panhafter Flötenspieler
ein und kurz vor unserer Abreise kamen noch Mattheus, sein Dänischer Freund mit
der Gitarre und Jesse dazu.
Beim
zweiten Feuer haben wir auch Gofio-Fladenbrot, süßen Reis mit Palmenhonig und
handgepflückte Kastanien.
Hari
meint, wir würden aber schwer am Rad drehen.
Tim
war gleich morgens voll beladen mit Holz an unserem Steinkreis
vorbeimarschiert. Für den Abend.
Stefan
meint beim Essen, er liebe Gofio, das nichts weiter als geröstetes Maismehl
ist. Man könne alles daraus machen, meint er, Brot, Kekse, vermutlich sogar
Straßen. Ob sie den Weg in das Tal wohl auch aus Gofio gebaut hätten.
Der
25. Dezember bricht an und wir beginnen, die Spuren des Vorabends zu beseitigen.
Wir bemühen uns, alles wieder so herzustellen, wie meine Mutter es arrangiert
hatte. Die Überreste der Ente werden in den Gefrierschrank gezwängt. Die
Geschenke unter den Divan. Der Brot-Sack wandert in die Abstellkammer, die
Krippe, der es nicht an Schafen, Schäfern und Römern mangelt, der aber das
Jesuskind fehlt, auf die Terrasse.
Als
meine Mutter kommt, sind wir beinahe wieder entspannt. Wir kochen Rindsuppe und
bekommen teure Geschenke. Sachen. Immer mehr Sachen. Noch mehr Sachen.
„Je
mehr Dinge du hast,“ sagt Marcus, „desto mehr sitzt du fest. Die Dinge besitzen
dich.“
In
unserem Steinkreis standen unsere Rucksäcke rum, mit all dem Zeug aus
Mitteleuropa, Reiseapotheke, Pässe, Tickets, Fotoapparat. Und sie nahmen selbst
zusehends die Gestalt von Felsen an, weil sie so nützlicher sein würden. Am
Strand brauchst du Steine, um einen Windschutz zu bauen, oder eine Feuerstelle.
Um Sachen zu beschweren oder den Fußboden auszulegen. Du brauchst Holz, um ein
Feuer zu machen, du brauchst volle und leere Wasserkanister, zum Waschen, für
den Müll, als Trichter, du brauchst ein Messer, ein Ess- und/oder Trinkgefäß.
Die meiste Zeit des Tages bist du nackt.
Klamotten,
Bildbände, Spielfilme gibt es von meiner Mutter geschenkt. Danach zeigen wir ihr
ein paar Fotos aus dem Urlaub. "Du lernst dort, dass jeder Schritt
zählt", erkläre ich. "Aha, das ist ja sehr Zen-Buddhistisch" ist
ihre Antwort. Begrifflichkeiten, für das Einfachste der Welt. Alles bekommt
hier ein abstraktes Mäntelchen übergestülpt.
Am
nächsten Tag früh aufstehen, hinaus fahren aufs Land, um mit der anderen
Familie Weihnachten zu feiern. Es ist der 26. Dezember. Die Rucksäcke stehen
noch immer in unserem Vorzimmer, unaufdringlich wie der Ort an dem sie waren,
wir heben seinen Duft noch ein wenig darin auf.
Schnell,
schnell, Geschenke einpacken. Schnell schnell, wir müssen den Zug erwischen. Der
Fahrplan. Kein Sonnenstand, keine Gezeiten, weder Orion noch Mond. Am Bahnhof
muss ich mich übergeben.
Am
Abend vor unserer Abreise erzählt Cynthia, dass sie durch ganz Europa getrampt
ist. Alleine. Von Deutschland nach Norwegen und von dort bis nach Südspanien.
Sie erzählt von vielen aufregenden Momenten, anrührenden Begegnungen und
glücklichen Fügungen. Als sie dann hier gelandet ist, hat sie Stefan
kennengelernt. Gemeinsam sind sie jetzt zurückgekehrt, um hier zu leben, mal
für ein Jahr, oder so.
Jesse
taucht auf, mit der Gitarre des Dänen. Der war neu hier und hatte sich schon
Sorgen gemacht, Jesse war irgendwo gewesen und der Pass steckte in der
Gitarrentasche drin. Dann war er schlafen gegangen. Mattheus geht zu seiner
Schlafstelle und sagt ihm bescheid, damit er gut schlafen und schön träumen
kann. Jesse spielt. Traurig, fern. Dann reicht er die Gitarre an Marcus weiter.
Sein Spiel fügt sich in das Schwingen der Nacht. Die Steine am Strand
applaudieren nach jeder Welle. Jetzt applaudieren sie auch Marcus.
Mattheus
spielt, laut und lustig. Wolfgangs Finger sind etwas eingerostet.
Ob
du nach hinten ins Barranco gehst, zum Holz holen oder zum Meer hinunter, ob du
Gitarre spielst oder Feuer machst, du musst dich hier auf das konzentrieren,
was du gerade tust. „Entweder du bewegst dich federleicht, wie eine Bergziege
von Stein zu Stein, oder du machst einen Riesenlärm und ziehst eine Spur der
Verwüstung hinter dir her.“ So sagt es Wolfgang. Wer an den Strand kommt, ist
hier um zu heilen oder zu lernen. An unserem letzten Abend gibt es
Gemüseeintopf mit Käse. Später zum Nachtisch haben wir Kekse, Orangenlimonade
und Bier.
Das
Land-Familienprogramm ist bald abgehakt. Wir fahren noch am selben Abend wieder
in die Stadt, denn am nächsten Morgen müssen wir beide zu unserer TCM-Ärztin.
Davor aber lernen wir noch Verena kennen, die neue Freundin eines Freundes,
unsere Silvestergesellschaft. Sie ist Performance-Künstlerin, eine Zeit lang
hat sie als Fakirin gejobbt. Vielleicht kann sie uns für den Jahreswechsel
Trips besorgen.
Der
Abend des 27. Dezembers, noch eine Bescherung, noch einmal Weihnachtsmusik.
Diesmal der vollzogene Akt: Wir dürfen die Geschenke meines Vaters in seinem
Beisein öffnen. Er freut sich, wie immer nur bedingt über das, was er bekommt.
Erwartungen.
Früher
am Tag war ich in der Apotheke gewesen, um meine chinesische Kräutermischung
abzuholen. Überschwänglich entschuldigte sich die Apothekerin dafür, dass das
Präparat noch nicht fertig sei. In zehn Minuten sagt sie und ich bemerke, dass
ich mit dieser Zeitangabe wenig anfangen kann. Ich nehme Platz, lächle. Ich
strahle immer noch Sonne ab. Die Apothekerinnen wuseln höchst professionell von
einer Kundschaft zur nächsten. Ich sehe mich um. Für jedes Weh-Wehchen ein
Mittelchen. Eine ganze Wand voller medizinischer Pflegeprodukte. Drei Reihen
Schuppenshampoo. Zwei Reihen Bodylotion. Zigfache Tages- und Nacht-,
Antifalten- und Profeuchtigkeitscremes. Mir wird schwindlig davon.
Bachblütenkaugummis geben einen Moment lang Anlass zu einer heiteren Unterhaltung,
freundliche Stimmung kann sich ausbreiten, als wir darüber lachen, die
Apothekerin, eine andere Kundin und ich, dass es "Ruhe und
Gelassenheit" nur mit dem Verweis "für den Notfall" zu erwerben
gibt.
Zwischen
einer weiteren Kundin und einer Apothekerin entbrennt eine Diskussion darüber,
ob sie eine Allergie oder einen gewöhnlichen Schnupfen hätte. Die Apothekerin
weiß dazu viel zu sagen. Sie nennt eine Unzahl verschiedener Arzneien und deren
Wirkungsweise. Die Kundin schüttelt dennoch unzufrieden den Kopf. Ich denke bei
mir, dass sie hier vielleicht einfach weg muss. Dann würden die Beschwerden so
oder so vergehen. Einfacher leben. So, wie es geht.
Mein
Mittel ist nach unbestimmter Wartezeit fertig und ich bekomme noch ein
Probe-Package einer etablierten Marke geschenkt, als Dankeschön dafür, dass ich
nicht wütend auf die Theke gedroschen habe, oder so ähnlich. Thermalwasserspray
ist darin, Abschminklotion, Körper- und Gesichtscreme in einem kleinen, weißen
Necessaire, zuhause stelle ich es in ein Regal und schaue es vorerst nicht mehr
an.
Als
wir Abschied vom Strand nehmen, wachen wir mit dem ersten Morgenlicht auf. Wir
lauschen noch einmal der Brandung und ihrem Applaus. Wir waschen uns ein
letztes Mal im Meer. Als wir über den Hügel gehen, spielt der Pan uns sein
Abschiedslied. Den Tag vor dem Abflug verbringen wir auf der Nachbarinsel, von
wo aus wir die Heimreise antreten müssen. Hier kann man nicht am Strand
schlafen, erklärt uns Marcus, zu viele Touristen, zu viel Kriminalität, zu viel
Polizei. Wir nehmen ein kleines billiges Zimmer, ohne Fenster. Wir essen in
einem Restaurant. Später streifen wir durch die Nacht, die
Einheits-Touristenläden haben geschlossen, nur vereinzelt taumeln und torkeln
noch Menschen über die Promenade. Wir treffen einen, der Seifenblasen macht,
und geben ihm unser Kleingeld. Ein kleines Mädchen sieht ihm zu und möchte auch
die Wollfäden an den Holzstecken in Lauge tauchen. Wolfgang fragt den
Seifenblasenmacher, ob er eine rund um ihn ziehen kann. Der Versuch misslingt,
aber wir haben Spaß. Eine sehr betrunkene Mutter auf sehr hohen Absätzen taucht
auf. Sie hat einen Kinderwagen dabei, den sie als Gehhilfe benutzt, aber er
kippt regelmäßig. Ihr Begleiter bietet dem kleinen Mädchen Obst an. Die Mutter
fordert es auf, mitzukommen. Auch wir verabschieden uns und der Seifenblasenmacher
bedankt sich für unsere Gesellschaft.
Wir
treffen Einen, der Sandburgen baut. Gigantische Sandburgen. Auch er bekommt ein
bisschen Kleingeld. Wir plaudern kurz und erfahren, dass es sich so auch leben
lässt. Er baut Sandburgen, die Touristen geben ihm Geld. Dann zieht er weiter.
Er ist Italiener und hat nie etwas Anderes gemacht. Wir sprechen vom Durchatmen
auf der Nachbarinsel und davon, wo es hier gutes Gras zu kaufen gibt.
Wir
finden die Bar trotz der Wegbeschreibung nicht auf Anhieb, aber zum Glück
spricht uns unmittelbar vor dem Eingang ein Animateur an, der sich als einer
der fünf Jungs herausstellt, die das Etablissement managen, nach dem wir
suchen. Eine Clique junger Rumänen, die eine Chance auf den großen Erfolg, oder
auch nur das gute Leben gewittert haben, wahrscheinlich auch deshalb, weil sie
zu viel koksen. Wir plaudern auf seiner Terrasse, trinken Tonic und rauchen
erst mal einen. Wir schließen Freundschaft, kaufen ihm was ab und wünschen uns
gegenseitig das Allerbeste für unser weiteres Leben.
Wir
gehen die Strandpromenade entlang, bis zumindest die Betrunkenen aufhören,
nicht aber die Hotelburgen, nicht aber der kilometerweit aufgeschüttete
Sandstrand. Das Meer liegt still da, keine Regung ist zu erkennen.
Wenn
ich vom Meer spreche, meine ich den Atlantik. Der Atlantik ist der
Rock'n'Roller unter den Ozeanen. Er donnert seinen Beat gegen die Felsen, lässt
sich für jede Welle Beifall spenden. Seine Gischt spritzt er dir immer ins
Gesicht, oder an irgendeine erogene Stelle. Ich bin mir sicher, er macht das
mit Absicht. Hier auf der Touristeninsel hat man ihn so gut man konnte
unschädlich gemacht.
Unterm
Schreiben wird die Sehnsucht größer, ich stehe auf. Ich krame Kleidungsstücke
aus meinem Rucksack und vergrabe meine Nase darin. Wie sie duften. Ein Tuch für
den Kopf ab der Mittagszeit, gegen den Sonnenstich. Ein Hemd für den
Nachmittag, wenn die Sonne auf die Schultern brennt. Ein Wickelrock für den kühlen
Abendwind, ein Pullover für die Nacht. Ich habe seit unserer Heimkunft nicht
meine E-Mails abgerufen, auf mein Handy sehe ich im Durchschnitt einmal am Tag.
Ich schreibe auf Papier und sträube mich, es abzutippen.
Wir
setzen uns auf eine Bank mit Meerblick und beginnen von Neuem, Per Anhalter
durch die Galaxis zu lesen. Etwas Anderes haben wir nicht dabei, aber es
ist Entertainment genug.
In
unserer billigen Pension gibt es fließendes Warmwasser aus der Leitung. Wir
schlafen zum letzten Mal im Schlafsack, aber die Sonne weckt uns nicht mehr.
Wir kaufen ein letztes Mal getrocknete Datteln und Feigen. Dann fliegen wir
nach Hause.
Silvester verbringen wir
außerhalb der Stadt. Ein Neujahrsfeuer, auf einer windigen Hügelkuppe. In den
Tälern rund um uns hängen Rauchschwaden vom Silvesterknall- und Feuerwerk.
Gegen Mitternacht beginnt es zu schneien. Gerade so viel, dass die Äcker
ringsum angezuckert aussehen. Bei uns am Feuer materialisieren sich die Flocken
nicht. Wir haben Saft und Glühwein und Sekt, wir haben Würstchen, Kartoffeln
und Chips, alles in allem ist es fast ein Gastmahl. Als die Feuergemeinschaft
immer größer wird, beschließen wir, keine Trips zu schmeißen. Verena ruft
stattdessen ihre Ahnengeister an. Ein Uhu antwortet ihr. Über uns steht der Orion.
Und ein kleines, silbriges Glitzern, wo Sirius in allen Farben blinken sollte.
Immerhin sind es dieselben Sterne, die wir auch am Strand über uns hatten.
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