Hätte
ich drei Wünsche frei, stünde ich auf einem Platz voll wehrloser Passanten, mit
zwei Pistolen in den Händen. Weil ich nicht weiß, wo ich hin will, will ich den
alten Mann mit Hund, der gemäch-lich meine Bahn kreuzt, am liebsten erschlagen.
Montag;07:45
Ich schäume in die U-Bahn, meide Blickkontakt. Weil es zu früh ist, um stehen zu bleiben, nehme ich Platz. Mir gegenüber eine Frau, mittevierzig. Ihr Blick heftet sich an mich, klebt süß. Dafür hasse ich sie. Ich ziehe die Stirn in Zornfalten, schieße Löcher in die Schwärze des vorbeiheulenden Schachtes. Die hört nicht auf zu starren. Ich ziehe den Hut tiefer ins Gesicht, es nützt nichts. Sie erzwingt es, will mir um jeden Preis in die Augen sehen. Selber schuld. Was ich aus meinen tiefsten Abgründen heraufholen kann, schleudere ich ihr entgegen. Sie lächelt doch tatsächlich. Versucht mich in einer Decke aus mütterlicher Warmherzigkeit einzufangen. Ich lasse sie ihr Grinsen fressen. Stopfe ihr das Liebevolle zurück in den Hals. Sie widert mich an, also töte ich ihre gute Laune, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie zerspringt. Bei der nächsten Station muss ich aussteigen.
Montag;16:00
Ich
ströme in die U-Bahn, meide Blickkontakt. Halbvoll besetzt, viel stehend. Weil
meine Schuhe zu hoch sind, um zu stehen, nehme ich Platz. Nicht den
Naheliegendsten. Der ist besetzt. Von der Aura eines in sich versunkenen
Mannes, mittevierzig. Rote Haare, gepflegter Anzug, spröde Haut. Zwischen
seinen Schuhen eine Lacke aus Ananassaft, eine gelbe Scheibe wie ein Eisberg in
dem Zuckermeer. Ursprung nahmen beide in der Dose, zwei Drittel gekippt aber
noch fest in seinem Griff. Ich starre ihn an, weil er meinen Blick nicht
aufzufangen droht. Alle sehen ihn an, ein Kuriosum, ein Motto für die Fahrt.
Keiner unternimmt etwas. Die Ignoranz der Leute. Initiative. Ich setze mich um,
zu ihm, frage nach seinem Befinden. Er schreckt hoch, erkennt sich selbst nicht
und sammelt die verlorene Scheibe ein. Verschließt Scheibe, Dose und restlichen
Saft mit Knoten in einem Plastiksack. Platziert ihn auf dem gegenüberliegenden
Sitz und schläft weiter. Ich muss nicht sitzen bleiben, fühle keine
Verantwortung mehr. Ich will von den anderen Fremden nicht mit ihm in
Verbindung gebracht werden. Auf der anderen Seite der Passage lässt sich ein
Voyeur nieder. Er kontaktet seine Mitreisenden. Mit Leidenschaft. Macht sie
unaufgefordert darauf aufmerksam, dass dieses abweichende Individuum
auszugrenzen ist. Den Jungen und Hübschen bietet er an, sich in sein
Einzugsgebiet zu begeben und eine Einheit, eine Front zu bilden:
"Vorsicht, nicht dorthin setzen. Der hat in die Hose gemacht." Ein
kicherndes Mädchen kommt seiner Aufforderung nach. Ein weltabgewandtes, optisch
subversives Element ebenfalls, wenn auch unter Schulterzucken. Der Voyeur
schwört nach und nach den ganzen Waggon gegen den Schlafenden ein. Die Ignoranz
der Leute. Zuviel. Ich stehe auf und schreie ihn an. Weil der Voyeur ein
Migrant ist, schreie ich etwas von Vorurteilen. Münze es auf die Lacke. Ich
erkläre sie zu Ananassaft, laut genug um alle Mitfahrenden von der Unschuld
unseres Maskottchens in Kenntnis zu setzen. Ich setze mich erneut zu ihm.
"Sowas gibt's auch noch...?" nuschelt es. Ich frage, ob es weiß, wo
es hin muss. Der rote Struwwelkopf hebt sich, etwa ein Drittel. Sein
verlittener Blick trifft mich eisig, blau. Es liegt hilflose Güte, Verletzung
darin. Auch seine Haut ist verletzt. Krebsrot und schuppig sind Gesicht und
Hände, gelb und wellig die Fingernägel. "Endstation", nickt es, nicht
dass ich ihm glaube. An der nächsten Station muss ich aussteigen. "Seit
drei Tagen nichts geschlafen" raunt es in seinen Schoß. Ich nicke, krame
in meiner Tasche, finde ihn: Den lächerlich kleinen Tiegel Pflegecreme für
Unterwegs. Der da sitzt, wirkt nicht bedürftig, nicht finanziell. Eine Umarmung
könnte er eher brauchen. Aber so großzügig bin ich nicht. Ich drücke ihm die
Salbe in die Hand und bin auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Ende der
Fürsorge.
Mein Herz hüpft so leicht. Ich lächle. Ja, ich liebe alle Menschen. Wie wundervoll ist es doch, auf der Welt zu sein, solange es noch jemanden gibt, dem es schlechter geht als dir. Oder, wie die Anonymen Alkoholiker sagen: Wenn es dir wirklich dreckig geht, suche dir jemanden, dem du helfen kannst. Das hilft.
Miel Wanka 2011
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