Freitag, 18. November 2011

Von Opfern.



Hätte ich drei Wünsche frei, stünde ich auf einem Platz voll wehrloser Passanten, mit zwei Pistolen in den Händen. Weil ich nicht weiß, wo ich hin will, will ich den alten Mann mit Hund, der gemäch-lich meine Bahn kreuzt, am liebsten erschlagen.

Montag;07:45
Ich schäume in die U-Bahn, meide Blickkontakt. Weil es zu früh ist, um stehen zu bleiben, nehme ich Platz. Mir gegenüber eine Frau, mittevierzig. Ihr Blick heftet sich an mich, klebt süß. Dafür hasse ich sie. Ich ziehe die Stirn in Zornfalten, schieße Löcher in die Schwärze des vorbeiheulenden Schachtes. Die hört nicht auf zu starren. Ich ziehe den Hut tiefer ins Gesicht, es nützt nichts. Sie erzwingt es, will mir um jeden Preis in die Augen sehen. Selber schuld. Was ich aus meinen tiefsten Abgründen heraufholen kann, schleudere ich ihr entgegen. Sie lächelt doch tatsächlich. Versucht mich in einer Decke aus mütterlicher Warmherzigkeit einzufangen. Ich lasse sie ihr Grinsen fressen. Stopfe ihr das Liebevolle zurück in den Hals. Sie widert mich an, also töte ich ihre gute Laune, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie zerspringt. Bei der nächsten Station muss ich aussteigen.

Montag;16:00
Ich ströme in die U-Bahn, meide Blickkontakt. Halbvoll besetzt, viel stehend. Weil meine Schuhe zu hoch sind, um zu stehen, nehme ich Platz. Nicht den Naheliegendsten. Der ist besetzt. Von der Aura eines in sich versunkenen Mannes, mittevierzig. Rote Haare, gepflegter Anzug, spröde Haut. Zwischen seinen Schuhen eine Lacke aus Ananassaft, eine gelbe Scheibe wie ein Eisberg in dem Zuckermeer. Ursprung nahmen beide in der Dose, zwei Drittel gekippt aber noch fest in seinem Griff. Ich starre ihn an, weil er meinen Blick nicht aufzufangen droht. Alle sehen ihn an, ein Kuriosum, ein Motto für die Fahrt. Keiner unternimmt etwas. Die Ignoranz der Leute. Initiative. Ich setze mich um, zu ihm, frage nach seinem Befinden. Er schreckt hoch, erkennt sich selbst nicht und sammelt die verlorene Scheibe ein. Verschließt Scheibe, Dose und restlichen Saft mit Knoten in einem Plastiksack. Platziert ihn auf dem gegenüberliegenden Sitz und schläft weiter. Ich muss nicht sitzen bleiben, fühle keine Verantwortung mehr. Ich will von den anderen Fremden nicht mit ihm in Verbindung gebracht werden. Auf der anderen Seite der Passage lässt sich ein Voyeur nieder. Er kontaktet seine Mitreisenden. Mit Leidenschaft. Macht sie unaufgefordert darauf aufmerksam, dass dieses abweichende Individuum auszugrenzen ist. Den Jungen und Hübschen bietet er an, sich in sein Einzugsgebiet zu begeben und eine Einheit, eine Front zu bilden: "Vorsicht, nicht dorthin setzen. Der hat in die Hose gemacht." Ein kicherndes Mädchen kommt seiner Aufforderung nach. Ein weltabgewandtes, optisch subversives Element ebenfalls, wenn auch unter Schulterzucken. Der Voyeur schwört nach und nach den ganzen Waggon gegen den Schlafenden ein. Die Ignoranz der Leute. Zuviel. Ich stehe auf und schreie ihn an. Weil der Voyeur ein Migrant ist, schreie ich etwas von Vorurteilen. Münze es auf die Lacke. Ich erkläre sie zu Ananassaft, laut genug um alle Mitfahrenden von der Unschuld unseres Maskottchens in Kenntnis zu setzen. Ich setze mich erneut zu ihm. "Sowas gibt's auch noch...?" nuschelt es. Ich frage, ob es weiß, wo es hin muss. Der rote Struwwelkopf hebt sich, etwa ein Drittel. Sein verlittener Blick trifft mich eisig, blau. Es liegt hilflose Güte, Verletzung darin. Auch seine Haut ist verletzt. Krebsrot und schuppig sind Gesicht und Hände, gelb und wellig die Fingernägel. "Endstation", nickt es, nicht dass ich ihm glaube. An der nächsten Station muss ich aussteigen. "Seit drei Tagen nichts geschlafen" raunt es in seinen Schoß. Ich nicke, krame in meiner Tasche, finde ihn: Den lächerlich kleinen Tiegel Pflegecreme für Unterwegs. Der da sitzt, wirkt nicht bedürftig, nicht finanziell. Eine Umarmung könnte er eher brauchen. Aber so großzügig bin ich nicht. Ich drücke ihm die Salbe in die Hand und bin auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Ende der Fürsorge.

Mein Herz hüpft so leicht. Ich lächle. Ja, ich liebe alle Menschen. Wie wundervoll ist es doch, auf der Welt zu sein, solange es noch jemanden gibt, dem es schlechter geht als dir. Oder, wie die Anonymen Alkoholiker sagen: Wenn es dir wirklich dreckig geht, suche dir jemanden, dem du helfen kannst. Das hilft.
Miel Wanka 2011

Donnerstag, 10. November 2011

Tanz aus verlorenen Zeiten



(Ein Minnesang)

Versuche mich nicht, stolzer Lord
dein windschnelles Pferd
trägt uns nicht beide fort

Nur im Traum, nur im Traum
nur in Avalon
sind wir einander teuer

Wider allen Verstand
bersten verleugnete Deiche
wir sind von eigener Hand
Lancelot und Guinevere
in Camelot
in Arthus' glorreichem Reich
im Zentrum der Achse unseres Glücks
Gefangen am Kipppunkt
Arthus das Kreuz, unsere Stütze
von unseren bohrenden Nägeln geschmückt
Ort ohne Not

Nur im Traum, nur im Traum
nur in Avalon
lichten sich die Schleier zwischen uns

Nur im Traum, nur im Traum
nur in Avalon
brennt unser heiliges Feuer


An unserem Verrat
geht Camelot zugrunde
wir speien gegen die Horen
harren der dunklen Stunde
Priester der süßen Verleumdung
Schlangen im Tempel beschworen
umtänzeln in Riten die Tat
fürchten die eigenen Zauber und Lügen
nichts wird bestehen, wenn wir obsiegen
weil unsere Herzen
mehr als zwei Federn wiegen


Nur im Traum, nur im Traum
nur in Avalon
schert uns die Welt nicht mehr


Nur im Traum, nur im Traum
nur in Avalon
sind wir Lancelot und Guinevere


In unseren Händen wird zerbrechen
was uns hielt und halten ließ
was uns ausgezeichnet hat, vergessen
in den goldnen Mauerrissen
und wer wem das Messer stieß
vorm Untergang der Ideale
sind wir beide nicht gefeit
zum Aufbau neuer Königreiche
ist der Grund noch nicht bereit
wir werden wissen, was wir wissen
erst im Schatten unserer selbst

Es war nur ein Traum, nur ein Traum
nur in Avalon
wechseln Gut und Böse die Seiten

Es war nur ein Traum, nur ein Traum
nur in Avalon
ein Tanz aus verlorenen Zeiten