Donnerstag, 4. März 2010

Lebenswege

Wir gehen auf gefestigten Pfaden, ausgetreten im Djungel der Eindrücke, gesichert durch schon zahlreiche Märsche auf immer gleichen Spuren. Je jünger wir sind, desto schärfer sind unsere Sinne, die uns befähigen, das Außen zu erkunden. Niemals wieder haben wir die Möglichkeit, so genau hinzuhören, hinzuriechen, hinzuschmecken, hinzusehen. Naiv zu staunen über jeden Sinneseindruck und ihn, isoliert in seiner ganzen Pracht, zu betrachten. Wir widmen uns ganz der Wahrnehmung und kaum noch der Verarbeitung. Dies allein wäre eine Aufgabe, die in einem Leben nicht zu bewältigen ist: Die genaue Erforschung jedes einzelnen Gegenstandes im Dickicht der Wirklichkeit. Deshalb beginnen wir an einem bestimmten Zeitpunkt unserer Existenz, Dinge als gegeben hinzunehmen. Wir speisen sie ein in unsere innere Welt und bauen uns Trampelpfade und Hängebrücken durch das vormals erstaunliche, doch unwegsame Land der Eindrücke. Um an ein bestimmtes Ziel zu kommen, ist es nicht wichtig, jede Blume, jedes Blatt und jeden Käfer auf dem Weg zu kennen. Nur die ungefähren Schemen ihrer Gesamtheit müssen wir uns einprägen. Manche von uns erhalten sich mehr als einen Weg zum Ziel, was sie vielleicht öfters daran denken lässt, dass sie einst völlig willkürlich eben diese Pfade erschlossen haben - als sie zu Anfang völlig austauschbares Dickicht vor sich hatten. Gegen Ende unseres Lebens dann sind unsere Sinne erschöpft und kaum noch im Stande, völlig Neues zu erkennen. Wir zehren dann von der Erinnerung, von unserer Innenwelt und dem, was uns bekannt ist. Das Gestrüpp unserer Umwelt nehmen wir kaum noch wahr und folgen dankbar den ausgetretenen Pfaden - vielleicht kaum noch in dem Wissen, dass wir selbst sie errichtet haben, vielleicht kaum noch erahnend, dass es unendlich viele andere Möglichkeiten gegeben hätte, nur dankbar dafür, dass es diesen Weg gibt, oder vielleicht nichteinmal mehr das. Und eine Frage zu stellen vergessen wir dennoch oder gerade deshalb: Wo standen wir am Anfang?

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